Gut gemeint, aber …
2018-03-07 20:41:00
Der Autor weist in seinem Buch auf die Bedeutung der Menschenrechte für die Überwindung der Ungleichheit in vielen Gesellschaften hin.
Bei der Lektüre kann leicht der Eindruck entstehen, als würde es bereits genügen, die Regierungen an ihre - z. T. vor Jahrzehnten - eingegangenen Verpflichtungen bei der Unterzeichnung von Menschenrechtsdeklarationen zu erinnern, damit sie ihre Politik wieder stärker an der Einhaltung dieser Menschenrechte ausrichten. Aber die politische Wirklichkeit ist bekanntlich viel komplexer: Hier handeln ja nicht nur Juristen, die sich idealerweise an das geltende Recht halten wollen, sondern verschiedenste Interessengruppen versuchen auf das politische Geschehen Einfluss zu nehmen - und es wäre naiv zu glauben, dass für jede Interessengruppe die Einhaltung von Menschenrechten oberste Priorität habe.
Die Sphären von Politik und Wirtschaft sind heute - sowohl inhaltlich als auch personell - oft so stark verflochten, dass die Rede von einer 'Postdemokratie' (Colin Crouch) durchaus eine gewisse Berechtigung hat.
Der Hinweis auf die Bedeutung der Menschenrechte bei der politischen Gestaltung des Zusammenlebens mag ein zusätzliches Argument sein, das zu berücksichtigen ist - konkretes politisches Handeln wird aber auch in Zukunft nicht nur durch Berufung auf unterzeichnete Menschenrechtsdeklarationen geprägt sein, sondern ebenso im Spannungsfeld von Interessengegensätzen und Machtansprüchen augetragen werden. Mindestens ebenso wichtig wie vergangene Verpflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechten dürften daher die aktuell in einer Gesellschaft verbreiteten Werteinstellungen für das politische Handeln sein.
Letztlich wird es entscheidend sein, wie es gelingt, menschenrechtliche Grundsätze in aktuellen gesellschaftlichen Werteinstellungen zu verankern. Dabei wird man sich die Suche nach dem, was den Menschenrechten zugrundeliegt - worin nämlich die Menschenwürde besteht - nicht ersparen können. Leider geht der Autor auf diese wichtige Frage nicht ein. Der Hinweis auf John Locke und sein philosophisches Konzept eines 'Gesellschaftsvertrags', bei dem freie Individuen ihre Souveränität einem Staat abgeben, um im Gegenzug dafür Sicherheit zu erhalten, kann nicht die Menschenwürde begründen, sondern versucht nur im Nachhinein die Entstehung des modernen Staates als Akt freier Individuen zu rekonstruieren. Das mag zwar die Legitimität des modernen Staates mit seinem Gewaltmonopol erklären, aber historisch gesehen kann es natürlich kaum die Entstehung der Staaten, geschweige denn die Menschenwürde begründen.