von Daniel Kehlmann
"Lichtspiel" von Daniel Kehlmann ist ein Roman übers Überleben. G. W. Pabst ist aufgrund seiner Stellung und Bekanntheit sicher nicht der Durchschnittsmensch im Deutschen Reich, aber er ist ein Stellvertreter für die Deutschen und Österreicher, die einfach nur versucht haben, in Kriegszeiten durchzukommen. Das mag moralisch nicht richtig gewesen sein, menschlich ist es nachvollziehbar.
Natürlich geht es um Kinogeschichte und um das Prinzip "Kino": Um Wahrnehmung, Wahrheit und Inszenierung, um Auslassen und Ergänzen, um das Steuern des Blicks der Zuschauer (oder Leser) - und genau diese Elemente übernimmt Kehlmann spielerisch in seinem Erzählstil.
"Lichtspiel" ist sehr bild- und filmhaft. Ein Kapitel, in dem Pabst beim Propaganda-Minister vorsprechen muss, wirkt wie eine Szene aus "Der große Diktator". Auch die Figuren haben etwas Filmhaftes, sind teilweise vereinfachte Abziehbildchen und Stereotype, die man sich alle sehr gut vorstellen kann - und die ihre "Rolle" in der Geschichte erfüllen.
Die Story ist spannend, die Schilderungen empathisch. Szenen, bei denen es um die Hilflosigkeit gegenüber der faschistischen Macht geht, beklemmen und machen wütend.
Ein großartiger Roman, der zu meinen Lieblingsbüchern dieses Jahr gehört!
von Stephen King
Passend zu Halloween habe ich den Stephen King-Klassiker "Brennen muss Salem" gelesen. Das Buch ist eine fabelhaft gruselige Vampir-Geschichte in der Tradition von Bram Stokers "Dracula" und beantwortet die Frage: Was wäre, wenn ein Vampir im 20. Jahrhundert nach Amerika käme?
Mit Kings Protagonisten fiebert man gerne mit und seine Antagonisten fürchtet man gern. "Brennen muss Salem" hat die perfekte Atmosphäre für einen regnerischen Herbstabend, an dem man unter der Decke eingekuschelt in das Buch eintauchen kann.
von Bora Chung
"Der Fluch des Hasen" ist eine Sammlung wunderbar gruseliger und fantastischer Geschichten, die sich immer auf sehr reale Ängste beziehen. Die Vielfältigkeit der Geschichten ist beeindruckend (Geister, Urtriebe, Flüche, Monster) und erinnert mich sehr an die traditionelle Überlieferung von Märchen: Aktuelle Traumata und Ängste finden ein Ventil in übernatürlichen Geschichten.
Ein schönes und abwechslungsreiches Buch für Leser:Innen, die literarischen Grusel lieben!
von Johanna Sebauer
Seit drei Jahren arbeiten der Bürgermeister und zwei Helfer daran, dass Nincshof - dieses unscheinbare, kleine Dorf an der österreich-ungarischen Grenze - vergessen wird. Die "Oblivisten" wollen nichts zu tun haben mit diesem "Draußen", das ohnehin nur Ärger, Verdruß, Regeln und andere Einschränkungen bringt. Leider trägt die neu hinzugezogene Familie, die mit seltenen Ziegen touristische Pläne schmiedet, nicht gerade dazu bei, dass Nincshof unauffällig bleibt: Zeit, die fast 80-jährige Erna Rohdiebl ins Boot zu holen, deren Großmutter schon einmal für die Freiheit und Unabhängikeit Nincshofs aufgestanden ist...
Johanna Sebauer hat einen wunderbar charmanten und unterhaltsamen Roman über die österreichische Provinz geschrieben. Die Figuren sind liebevoll gezeichnet, die Geschichte mit Sprachwitz und ostösterreichischem Flair erzählt. Ein Buch für alle, die kurzweilige Unterhaltung suchen, die zwischen den Zeilen noch mehr bietet!
von Castle Freeman
Trockener Humor, eingenbrötlerische Figuren, ein unfähiger Sheriff und ein gefährlicher Drogenhändler! Castle Freeman schreibt schnörkellose, kurzweilige Romane, die wie moderne Western wirken. In "Treue Seele" schreibt Freeman aus mehreren Perspektiven und spannt eine Geschichte über 30 Jahre, während denen selbst die eigensinnigsten Bewohner des Dorfes zusammenfinden.
von Genki Kawamura
Mich hat als erstes das hübsche Cover mit Katze und Goldprägung angesprochen - und der Inhalt lädt zum Nachdenken ein.
Der Protagonist dieses Bestsellers aus Japan erfährt, dass er aufgrund einer Krebsdiagnose voraussichtlich noch sechs Monate zu leben hat. Der Teufel, der abends bei ihm im Zimmer erscheint, eröffnet ihm, dass er nur noch einen Tag hat - er bietet ihm aber einen Pakt an: Er kann einen Tag längern leben, dafür muss aber etwas von der Welt verschwinden. Den Verlust des Telefons kann der Erzähler noch gut verkraften, aber jeden Tag wird die Entscheidung schwieriger....
"Faust" trifft auf "Mitternachtsbibliothek"! Ein kurzer Roman, der die Frage stellt, was im Leben wirklich wichtig ist - und was man persönlich bereit wäre zu opfern.
von Herbert Clyde Lewis
Die Wiederentdeckung eines tragikomischen Romans! Der Protagonist Henry Standish fällt durch ein Ungeschick über Bord seines Kreuzfahrtschiffs. Sein "Mann über Bord" ruft er als Gentleman nur sanft, sodass es ungehört über den Wellen verklingt. Die Crew und seine Mitreisenden werden seine Abwesenheit ja bald bemerken, oder?
"Gentleman über Bord" ist ein kleines, feines Stück Literatur, das v.a. durch die psychologische Beobachtung der Hauptfigur besticht. Der einsam auf dem Meer treibende Standish, der alle möglichen Stimmungen durchlebt, ist eine Figur, mit der man mitfühlt. Parallel dazu werden die Vorkommnisse auf dem Schiff weitergestrickt.
Psychologisches Portrait, soziologische Studie, aber so leicht geschrieben wie Meeresschäumen.
von Maria Ernestam
Ein zurückhaltender, unscheinbarer Verwaltungsmitarbeiter wird durch einen Bestellfehler zum Held von ganz Schweden! Der ruhige Roman ist unterhaltlich ohne ins Vulgäre abzudriften. Sowohl vom Erzählton als auch den Figuren her hat er mich ein wenig an Melvilles "Bartleby" erinnert. Ein schönes Buch, wenn Sie mal ein, zwei Stunden abschalten möchten!